Collection

Deckfarbenzeichnung: Fassadenriss vom Marktturm Regensburg nach Melchior Bocksberger

Artist
Melchior Bocksberger
Locality
Regensburg
Date
1573 (nach)
Material
Deckfarbe, Papier, Deckfarbenmalerei
Dimensions
Blatt: H. 146,0 cm, B. 47,0 cm, T. 0,3 cm; Passepartout mit Unterlage: H. 169,2 cm, B. 65,0 cm, T. 1,4 cm
Location
Bayerisches Nationalmuseum (not on display)
Inventory Number
NN 1027.1
Relation
Acquisition
Zugang vor 1887

Die Deckfarbenzeichnung gibt die Ansicht der Südfassade des Regensburger Marktturms ohne seinen architektonischen Kontext wieder. Bemerkenswert ist die Überlieferung der Fresken, die Melchior Bocksberger 1573/74 an der gesamten Rathausfassade ausführte. Der Turm ist aus mehreren unterschiedlichen Stockwerken aufgebaut: Über einem spitzbogigen Portal mit einer Art überdachter Kanzel folgen eine Sonnenuhr, ein doppeltes Zifferblatt, das von zwei Geharnischten gehalten wird, in den Zwickeln Personifikationen der Gerechtigkeit und der Mäßigung, zwei Schilde mit dem Reichsadler und dem Wappen der Stadt Regensburg, ein Maßwerkfenster, darüber drei kleine Fenster der Glöcknerwohnung und das Dach mit Glockenstuhl, Laterne und Wetterfahne./Melzer, Dr. Christien, 2010.03.10
Der Regensburger Marktturm befand sich an der südöstlichen Ecke des Rathauses am Marktplatz, dem heutigen Kohlenmarkt. Er ging auf die Tradition der flämischen Belfriede zurück, städtischer Haupt- oder Glockentürme auf viereckigem Grundriss, die frei stehen oder mit einer Halle verbunden sind. Solche Türme wurden an zentralen Plätzen errichtet und waren ein Symbol der städtisch-bürgerlichen Freiheit und Selbstverwaltung. Sie dienten als Glocken- und Wachturm sowie als Ort von Proklamationen und Versammlungen. Außerdem konnten sie städtische Archive, Schatz- oder Waffenkammern beherbergen./Melzer, Dr. Christien, 2010.03.10
Die Stadt Regensburg hatte im Jahre 1245 ihre Reichsfreiheit und damit das Recht auf Selbstverwaltung erlangt. Repräsentativer Ausdruck dieses neuen Status' war der Bau eines Rathauses. Der Kern der Anlage und heutige Mittelteil bestand in einer Patrizierburg mit Turm und Wohntrakt, die im frühen 14. Jahrhundert durch den Reichssaalbau mit Stiegenhaus, einen der bedeutendsten mittelalterlichen Kommunalbauten in Mitteleuropa, ergänzt wurde. An den Mittelbau schlossen sich die Ahakirche und der Marktturm an, dessen Erbauungsdaten jedoch weitgehend unbekannt sind. 1356 wurde er nach einem Brand auf dem alten Grundriss erneuert. Matthäus Merian berichtet in der Topographia Bavariae (1644), dass der Marktturm 1571 nochmals umgebaut und das Dach erhöht wurde. Im 16. und 17. Jahrhundert erfuhr das Rathaus mehrere Umbauten und Erweiterungen, u. a. durch die Einrichtung des Immerwährenden Reichstages. 1573/74 gestaltete Melchior Bocksberger die gesamte Fassade mit Fresken. Die Bemalung des Turmes ist durch Merians Stich in der Topographia überliefert und stimmt mit der Darstellung des Deckfarbenblattes überein. 1706 zerstörte ein Brand den Marktturm; an seiner Stelle entstand 1721 bis 1723 der Südflügel des barocken, heute noch stehenden Rathauses./Melzer, Dr. Christien, 2010.03.10
Repräsentative Fassadenmalerei war in Süddeutschland seit dem Mittelalter gebräuchlich. Im 15. und 16. Jahrhundert orientierten sich die Programme zunehmend an italienischen Vorbildern. Sie behandelten humanistische Themen und verwendeten einen an der Antike inspirierten Formenschatz. Besonders die freien Reichsstädte wie Augsburg und Regensburg entwickelten aufgrund ihres florierenden Handels ein wachsendes Selbstbewusstsein, das sich in aufwändig dekorierten öffentlichen Bauten und Bürgerhäusern äußerte. Durch Witterungseinflüsse und Übermalungen sind viele Fresken heute verloren und können nur anhand von Stichen und Zeichnungen rekonstruiert werden. Die Fassadenfresken des Regensburger Rathauses, 1573/74 von Melchior Bocksberger entworfen und ausgeführt, zeigten illusionistische Szenen des Alten Testaments, der römischen Geschichte und griechischen Mythologie. Sie illustrierten Erzählungen zur Gerechtigkeit und nahmen Bezug auf verschiedene Tugenden. Damit verdeutlichten sie einerseits die Stellung des Stadtrats als Garant der guten Ordnung, andererseits sollten sie die Bürger zu pflichtbewusstem Handeln anleiten./Melzer, Dr. Christien, 2010.03.10
Melchior Bocksberger wurde um 1530/35 in Salzburg geboren. Wahrscheinlich reiste er in den 1550er Jahren nach Italien, anschließend war er im süddeutschen Raum tätig. Seine Kompositionen wurden besonders durch Werke Giulio Romanos, aber auch durch die venezianische Malerei Veroneses und Tintorettos mit ihren differenzierten Farbtonwerten beeinflusst. Im Historischen Museum Regensburg haben sich Bocksbergers Entwürfe für den Marktturm erhalten (Inv.-Nrn. AB 285, AB 286, AB 287). Die Südansicht des Turmes war zugleich die zum Markt weisende Schauseite, weshalb sie mit konventionellen Motiven symmetrisch angelegt wurde. Die Ausführung der Fresken wich vom Entwurf ab, der beispielsweise zwei Elefanten und Personifikation der vier Elemente aufweist. Die Farbigkeit der Entwürfe beschränkt sich auf Rot-, Braun- und Blautöne, während die Deckfarbenzeichnung auch Grün- und Gelbtöne verwendet und die Farben zur klaren Gliederung der Komposition einsetzt. Des Weiteren weist die Münchner Zeichnung szenisch-anekdotische Elemente wie eine aus dem Fenster blickende Figur, Wasser abgebende Wasserspeier und im Hintergrund ziehende Vögel auf. Bocksbergers Entwürfe der Ost- und Nordansicht des Turms sind freier gestaltet. Gerade der Entwurf der Nordfassade mit der dynamischen Darstellung des Titanensturzes entwickelte italienische Einflüsse selbständig weiter. Hinter dem Motiv verbarg sich eine eminent politische Bedeutung: Die Macht der reichsstädtischen Obrigkeit bestrafte jeden, der gegen sie aufbegehrte, so, wie es zwei Episoden der griechischen Mythologie vom Fall der Titanen und der Giganten berichten. Zeus hatte diese nach langem Kampf besiegt und vom Olymp gestürzt./Melzer, Dr. Christien, 2010.03.10
Erworben vor 1887 (Erwähnung in Joseph Aloys Mayer, Katalog der Abbildungen und Handzeichnungen zur Kultur- und Kunstgeschichte Bayerns, Bd. 2, 1887, S. 101: Ehemaliger Thurm am Rathaus große Gouache Zeichnung)/Melzer, Dr. Christien, 2010.03.10

BV017740961
Zum Künstler: Susanne Kaeppele, Die Malerfamilie Bocksberger aus Salzburg. Malerei zwischen Reformation und italienischer Renaissance (Salzburg-Studien ; 5), Salzburg 2003, S. 146-156

BV002382315
Zum Objekt: Kat. Die deutsche Räderuhr. Zur Kunst und Technik des mechanischen Zeitmessers im deutschen Sprachraum. Band 2: Katalog und Tafeln, München 1976, S. 10, Kat.-Nr. 13

BV002170586
Zum Objekt: Ausst.-Kat. Museum der Stadt Regensburg, 4. Mai bis 17. Juni 1984: Farbige Architektur. Regensburger Häuser, Bauforschung und Dokumentation (Bayern / Landesamt für Denkmalpflege: Arbeitsheft ; 21), Regensburg 1984, S. 57-58, Abb. 74

BV011077583
Zum Objekt: Matthäus Merian, Martin Zeiller, Topographia Bavariae, Frankfurt am Main 1644/1657, Abb. S. 50-51 (zwischen)

BV002596995
Zum Objekt: Jahresbericht Bayerisches Nationalmuseum München 2010-2011, Renate Eikelmann (Hrsg.), München 2012, S. 66

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