Geschichte
Ein Haus mit Tradition
Bereits nach dem Tod des ersten bayerischen Königs Max I. Joseph 1825 kursierten Ideen, mit den Beständen seiner Kunstsammlung ein "Nationalmuseum" zu errichten. Es sollte sich der Geschichte und Kultur der von den Wittelsbachern regierten Volksstämme sowie des Herrscherhauses widmen. Sein Enkel König Maximilian II. realisierte diesen Plan und verband mit der Museumsgründung die Absicht, seiner Dynastie ein Denkmal zu setzen. Auf der Londoner Weltausstellung 1851 erlebte er das faszinierende Konzept, Nationen mithilfe von Meisterleistungen, sowohl historischer Werke als auch aktueller Produkte, anschaulich zu präsentieren. 1855 übertrug er diesen Gedanken auf sein Münchner Projekt: Er gründete ein Museum, dem er den bis heute gültigen Namen „Bayerisches National Museum“ gab.
Mit der Umsetzung seiner Museumspläne beauftragte Maximilian II. den königlich-bayerischen Archivdirektor Karl Maria Freiherr von Aretin. Ein wesentliches Ziel bestand in der Bewahrung der kulturellen Zeugnisse Bayerns, oder wie es damals hieß „vaterländischer Denkmäler“ und der "Überreste vergangener Zeiten". Obwohl der Schwerpunkt der Sammlung zunächst auf dem Mittelalter lag, sollten alle Epochen bis um 1800 vertreten sein. Großzügig überwies der König dafür Bestände aus der Münchner Residenz sowie anderen Schlössern der Wittelsbacher und schuf somit den Grundstock des Museums. Als dessen Domizil wurde die Maxburg bestimmt, die zu Ende des 16. Jahrhunderts im Münchner Kreuzviertel errichtete Residenz der bayerischen Herzöge.
Die zentral zwischen dem heutigen Karls- und Marienplatz gelegene Maxburg wurde trotz mehrerer Anläufe, die Ausstellungsflächen zu erweitern, als öffentliches Museum bald zu klein. Deshalb veranlasste König Maximilian II. einen Neubau an prominenter Stelle in der Stadt. Um seinen Vorstellungen zu entsprechen, musste das weitgehend fertiggestellte Taubstummeninstitut an der Maximilianstraße abgebrochen werden. So konnte dem an dieser neuen Prachtstraße bereits errichteten Regierungsgebäude der repräsentative, von Eduard Riedel entworfene Monumentalbau für das Museum gegenübergestellt werden.
Ab 1858 entstand ein an Formen der englischen Gotik orientierter Gebäudekomplex. Er besaß begrünte Innenhöfe, die sich über Arkaden zum sogenannten Maximiliansforum hin öffneten. An der Fassade weisen lebensgroße Figuren von Persönlichkeiten der bayerischen Geschichte bis heute auf die ursprüngliche Funktion des Gebäudes hin. Ein Freskenzyklus mit der Darstellung bedeutender historischer Ereignisse im Obergeschoss, der den Exponaten einen geschichtlichen Rahmen verleihen sollte, ist nur fragmentarisch erhalten. Jetzt beherbergt das Gebäude des „alten Bayerischen Nationalmuseums“ das Museum Fünf Kontinente.
Das 1867 eröffnete Bauwerk war zunächst gänzlich als historisches Museum konzipiert und präsentierte Kunstobjekte mit Bezug zur Geschichte Bayerns. Mit dem Ausbau der kunsthandwerklichen Sammlung einschließlich „moderner Kunstindustrie“ entwickelte es sich unter der Leitung des damaligen Direktors Jakob Heinrich von Hefner-Alteneck ab 1868 in die Richtung eines Kunstgewerbemuseums. Schon nach wenigen Jahren sprengten die rasch wachsenden Bestände die räumlichen Möglichkeiten des Gebäudes an der Maximilianstraße. Außerdem wies der Komplex zunehmend ernste Bauschäden auf, sodass akuter Handlungsbedarf bestand.
1892 beschloss der Bayerische Landtag, für das Bayerische Nationalmuseum einen Neubau auf dem Gelände des Königlichen Holzgartens am Englischen Garten zu errichten. Zunächst legte Karl Bernatz einen Entwurf im Stil der italienischen Renaissance vor. Gegen dieses Konzept begehrte die Münchner Künstlerschaft 1893 auf. Den anschließenden Wettbewerb zwischen Georg Hauberrisser, Leonhard Romeis und Gabriel von Seidl, den drei damals bedeutendsten Architekten der Stadt, konnte Seidl für sich entscheiden: Die Grundsteinlegung erfolgte am 17. November 1894. Am 29. September 1900 weihte Prinzregent Luitpold das neue Bayerische Nationalmuseum an der nach ihm benannten Straße ein.
Seidls Konzept verband Bauteile verschiedener historischer Stile miteinander und fand aufgrund seiner „malerischen“ Wirkung vielfache Bewunderung. Im Innern beeindruckte die aufwendige, den ausgestellten Werken stilistisch entsprechende und auf Stimmungen abzielende Gestaltung der Säle. Damit gehörte der markante Gebäudekomplex mit seinem prägnanten Turm und thematisch angelegten Gärten zu den bedeutendsten und originellsten Museumsbauten seiner Zeit.
Das Bayerische Nationalmuseum präsentierte einen weitgehend kulturgeschichtlichen Rundgang von der Vorgeschichte und der Römerzeit bis um 1800. Darüber hinaus war das Obergeschoss den Spezialsammlungen einzelner kunsthandwerklicher Gattungen vorbehalten. In Grundzügen prägt diese Gliederung das Museum bis in die Gegenwart
Schon ein halbes Jahrzehnt nach der Eröffnung erfuhr das architektonische Ensemble eine erste Erweiterung. Im Westen wurde ein Trakt angefügt, in dem sich heute die vom Museum 2004 erworbene Sammlung Bollert befindet. 1937/38 entstand im Osten des Areals ein weiterer, von German Bestelmeyer konzipierter Flügel. Er wurde unmittelbar nach seiner Fertigstellung vom Planungsbüro für den nationalsozialistischen Umbau Münchens requiriert.
Zugleich kennzeichneten mehrere richtungsweisende Entscheidungen die ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Dazu gehörten wesentliche Bestandserweiterungen durch fulminante Schenkungen: Die Zuwendung des Münchner Geschäftsmannes Max Schmederer im Jahre 1892 / 1906 bildete den Grundstock für die heute weltberühmte Sammlung von Weihnachtskrippen. Die umfangreiche Übereignung von Ernst von Bassermann-Jordan 1933 begründete die Uhrensammlung. Die bereits vor dem Ersten Weltkrieg erfolgte Ausdehnung des Bestands auf modernes Kunsthandwerk wurde mit der Gründung einer eigenen Abteilung 1925 festgeschrieben: 1947 etablierte man daraus ein selbständiges Museum für angewandte Kunst, das heute als Neue Sammlung – The Design Museum firmiert. Seitdem endet der Sammlungsauftrag des Bayerischen Nationalmuseums im Wesentlichen mit dem Jugendstil.
Weitreichende Folgen für den Charakter und das Gesicht des Museums hat bis heute die erhebliche Reduzierung der Waffensammlung durch die Überführung nennenswerter Bestände an das Bayerische Armeemuseum kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Gleiches gilt für die Ende der 1920er-Jahre getroffene Entscheidung, die beachtliche Sammlung von Gipsabgüssen berühmter Bildwerke einzulagern. Noch tiefgreifender war der 1932 gefällte Beschluss, die vorgeschichtlichen, römerzeitlichen und merowingischen Ausgrabungsfunde und Objekte, darunter bedeutende Mosaiken und Steindenkmäler, an die Prähistorische, heute Archäologische Staatssammlung, auszugliedern.
Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde das Museum geschlossen und seine Bestände in Sicherheit gebracht. Die verheerenden Luftangriffe auf München zwischen 1943 und Anfang 1945 zerstörten große Teile des Gebäudeensembles. Allein am 25. April 1944 fielen 162 Brandbomben auf das Bayerische Nationalmuseum.
Unmittelbar nach Kriegsende begann die Wiederherstellung des Gebäudes. Schon im Dezember 1945 konnten einige Räume öffnen. Aufgrund der damals allgemeinen Geringschätzung des Historismus erfolgte die Rekonstruktion der architektonischen Außenhaut in vereinfachten Formen. Das Erscheinungsbild der historistischen Interieurs wurde im Zuge der Schaffung neutraler Ausstellungsräume sogar erheblich reduziert. Zur 100-Jahrfeier 1955, an der Bundespräsident Theodor Heuss teilnahm, war der Wiederaufbau weitgehend abgeschlossen.
In den ersten Nachkriegsjahren diente das Museum auch einer Reihe staatlicher bayerischer Museen als provisorischer Ausstellungsort. So war es von 1949 bis 1969 auch das Domizil des durch die Kriegszerstörung heimatlos gewordenen Bayerischen Armeemuseums am Hofgarten
1968 bis 1972 erfolgte die durchgehende Elektrifizierung des ursprünglich als Tageslichtmuseum konzipierten Gebäudes. Eine besondere Herausforderung bestand danach in der Integration moderner Infrastruktur in die historische Bausubstanz, wie etwa die teilweise barrierefreie Erschließung mit Aufzügen. In den 1950er- bis 1970er-Jahren setzten umfangreiche und bedeutende Bestandsgruppen, die das Museum erwerben konnte, neue inhaltliche Schwerpunkte: Die weltbekannte volkskundliche „Sammlung Rudolf Kriss“ (1952), die „Hafnergeschirr-Sammlung Oehl“ (1957), die von Heinrich Reuschel gestiftete Sammlung barocker Ölskizzen „Sammlung Reuschel“ (1960) oder die „Sammlung Meißner Porzellan Stiftung Ernst Schneider“, die 1971 zur Gründung des Zweigmuseums Schloss Lustheim führte. 1986 entstand mit der ökumenischen Sammlung Weinhold im Alten Schloss Schleißheim ein weiteres Zweigmuseum.
1996 bis 2000 erhielt das Museum einen modernen Erweiterungsbau für die Restaurierungsateliers und die Hauswerkstätten. Diese Expansion bildet seither eine solide Grundlage, um der Aufgabe der Bewahrung kultureller Güter gerecht zu werden. Ab 2000 erfolgte die Erneuerung großer Teile der Außenhaut des Museumskomplexes sowie die Neugestaltung des Vorplatzes und der Gärten. Bis 2018 wurde der Westflügel des Museums grundlegend saniert und zum Großteil neu eingerichtet.
Die Erwerbung umfangreicher Bestände bereicherte das Museum auch in den letzten Jahrzehnten wesentlich. So setzte der Ankauf der Jugendstilsammlung Siegfried Wichmann 1983 einen fulminanten neuen Akzent. Die Sammlung von Tabatieren und Pretiosen aus dem Fürstenhaus Thurn und Taxis sowie dessen Waffen, die letzte große Gewehrkammer in deutschem Adelsbesitz, bildete die Grundlage für das Mitte der 1990er-Jahre errichtete Zweigmuseum im Marstall von Schloss Emmeram in Regensburg. Die 1996 angekaufte Sammlung Williams machte das Museum zu einem Schwergewicht auf dem Gebiet höfischer Mode des 18. Jahrhunderts. Und mit der Sammlung Bollert gelangte 2004 die letzte der Berliner Privatsammlungen mittelalterlicher Skulptur nach München, die unter grundlegender Mitwirkung des berühmten Kunsthistorikers Wilhelm von Bode entstanden
Neben den traditionellen Aufgaben des Sammelns und Erhaltens, des Ausstellens, Vermittelns und der kulturgeschichtlichen Forschung ergänzt die Provenienzforschung seit den letzten Jahren die Museumsarbeit in wachsendem Maß. Sie zielt vor allem auf die Ermittlung und Restitution unrechtmäßig erworbener Kulturgüter. Darüber hinaus besteht einer der zukünftigen Schwerpunkte in der Digitalisierung der Bestände, mit deren Hilfe das Museum umfangreichere Präsenz und Sichtbarkeit in den modernen Medien erreichen wird. Die sukzessive Erneuerung der Schausammlungen zielt vordringlich auf die Präsentation der Sammlungen des 19. Jahrhunderts und zum Jugendstil. Von großer Bedeutung ist außerdem die Neugestaltung der einzigartigen Sammlung zur Alltagskultur. Darüber hinaus schlägt ein zeitgemäßes Sonderausstellungsprogramm zunehmend Brücken zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Nicht zuletzt sind die Leuchten „Iconic Eye“ von Bernhard Dessecker, die 2019 in dem von Formen der Neorenaissance geprägten Foyer installiert wurden, ein spektakulärer Wegweiser in die Zukunft.