Sammlung

Spiegel aus einem Toiletteservice

Künstler/in
Franz Christoph Saler (?)
Entstehung
Augsburg
Datierung
um 1741-1743
Material
Silber, getrieben, ziseliert, graviert, punziert, vergoldet; Spiegelglas, geschliffen; Holz, gesägt
Maße
H. (mit Fuß) 68,1 cm, B. 51,8 cm, T. 5,7 cm, G. 5,6 kg
Standort
Fürstliche Schatzkammer Thurn und Taxis
Inventarnummer
93/59
Bezug
Inv.-Nr. 93/59 - 93/86 (Toilette-Service)
Zugang
Öffentlich-rechtlicher Übertragungsvertrag 1993, Fürst Thurn und Taxis Kunstsammlungen, Regensburg

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts trat zunehmend die Tendenz hervor, kostbare Gebrauchsgegenstände in Form und Dekor einander anzugleichen und zu formal geschlossenen Ensembles zusammenzufassen. So bildeten sich nicht nur Tafelservice, sondern auch nach den individuellen Wünschen der Auftraggeber zusammengestellte Toilettegarnituren heraus. In der Regel umfaßten sie zwei Objektgruppen: einerseits Gegenstände der Körper- und Schönheitspflege, andererseits Gerätschaften zur Darreichung der im Boudoir oder Schlafzimmer eingenommenen ersten Mahlzeit sowie der exotischen Heißgetränke Tee, Kaffee und Schokolade; auch konnten Schreibutensilien hinzukommen. Die stets nur für eine Person bestimmten Bestandteile aus zumeist vergoldetem Silber wurden dabei nicht nur nach einem übergreifenden Formenkanon gestaltet, sondern auch derart zweckmäßig aufeinander abgestimmt, daß sie leicht in einem kofferartigen Behältnis verwahrt werden konnten. Dank solcher Schatullen ließen sich die ebenso kostbaren wie empfindlichen Garnituren zugleich auch sicher transportieren.
Hauptsächlicher Zweck der Behältnisse aber war es, die nach einem ausgeklügelten Kompositionsschema angeordneten Einzelteile dauerhaft vor Verschmutzung und Oxydation zu schützen. Denn gewöhnlich wurden die Service wohl nur zu seltenen Gelegenheiten aus dem Koffer herausgenommen und vornehmlich aus Repräsentationsgründen im Appartement der Dame aufgestellt.
Bei derartigen Inszenierungen, wie sie in zeitgenössischen Darstellungen festgehalten sind, trat als beherrschendes Element stets der hohe Spiegel hervor, der etwa die Mitte des in der Regel mit einem Tüllbehang verkleideten Toilettetisches einnahm. Vor ihm waren - von Leuchtern begleitet - die paarweise in der Größe abgestuften Dosen plaziert, die besonders zur Aufbewahrung von Toilette-Accessoires wie künstlichen Schläfenlocken, Schönheitspflästerchen, Schminkpasten und Puder dienten. Zudem konnten dort Glasflakons einschließlich des zugehörigen Trichters, das samtbezogene Nadelkissen, Pinsel- und Kleiderbürste sowie das Glöckchen Platz inden, mit dem die Zofe gerufen wurde. Bei der heutigen Präsentation im Regensburger Thurn und Taxis-Museum sind im zugehörigen Koffer die genannten Kannen für Kaffee und Tee, die aus Kanne und Becken bestehende Lavabogarnitur sowie Essensgerätschaften und Schreibutensilien geborgen.
Das recht leicht gearbeitete und nur schwach vergoldete Toiletteservice aus Thurn und Taxis-Besitz wurde von drei verschiedenen Augsburger Meistern in enger Zusammenarbeit nach einem verbindlichen Plan ausgeführt. Die vollständig erhaltene Garnitur läßt in der gleichsam modellierenden Durchbildung der in angedeuteter Fassonierung bewegten Dosenkörper und Leuchterfüße mit ovalem oder rundem Grundriß wie auch in den Rocaillen des ziselierten Dekors schon das beginnende Rokoko erkennen. In besonderem Maße gilt das für den mit ausgeprägten Muschel- und Volutenmotiven versehenen Spiegel, dessen bekrönende Kartusche bereits asymmetrisch gebildet ist.
Die nicht eindeutig in den Regensburger Inventaren des 18. Jahrhunderts zu identifizierende Garnitur stammt angeblich aus dem Nachlaß der Fürstin Therese von Mecklenburg-Strelitz (1773-1839), der Gemahlin des Fürsten Karl Alexander von Thurn und Taxis (1770-1827), die das aus den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts stammende Ensemble somit auf dem Erbwege erhalten haben müßte. Gewöhnlich handelte es sich bei den Toiletteservicen um Geschenke, welche die adelige Dame anläßlich ihrer Vermählung erhielt; oft zählten sie zur Morgengabe, die der Herr an dem auf die Brautnacht folgenden Morgen seiner Gemahlin darbrachte.

BV000960151
Zu den Marken: Helmut Seling, Die Kunst der Augsburger Goldschmiede 1529-1868. Meister, Marken, Werke, München 1980, Bd. 3, Nr. 216

BV009141865
Zu den Marken: Helmut Seling, Die Kunst der Augsburger Goldschmiede 1529-1868. Supplement zu Bd. III, Meister, Marken, Beschauzeichen, München 1994, Nr. 2291b*

BV009261717
Zum Objekt: Ausst.-Kat. Bayerisches Nationalmuseum, München, 23. Februar 1994 - 29. Mai 1994: Silber und Gold. Augsburger Goldschmiedekunst für die Höfe Europas, Reinhold Baumstark, Helmut Seling (Hrsg.), München 1994, Kat.-Nr. 122.1

BV010072675
Zum Objekt: Kat. Höfische Pracht der Augsburger Goldschmiedekunst (mit Aufnahmen von Wolf-Christian von der Mülbe). München u. New York 1995, S. 42, 122, Taf. 48/49

BV011726896
Zum Objekt: Ausst.-Kat. Bayerisches Nationalmuseum, München, 03. Dezember 1997 - 07. Juni 1998: Von Glück, Gunst und Gönnern. Erwerbungen und Schenkungen 1992-1997, Reinhold Baumstark (Hrsg.), München 1997, S. 100, Abb. S. 101

BV012190176
Zum Objekt: Mus-Kat. Thurn und Taxis Museum Regensburg. Höfische Kunst und Kultur, Reinhold Baumstark (Hrsg.), München 1998, S. 94-96, Abb. S. 94, Kat.-Nr. 27a

BV044751253
Zum Objekt: Maureen Cassidy-Geiger, 'Quelque chose de beau et de bon gôut'. A silver-gilt toilet service for the Dresden Doppelhochzeit of 1747, in: Silver Studies. The Journal of the Silver Society, Special issue: Rococo silver in England and its colonies. Papers from a symposium at Virginia Museum of Fine Arts Richmond in 2004 20. Jg., London 2006, S. 46-57, S. 51, Abb. 65

BV038034394
Zum Objekt: Cordula Bischoff, Presents for Princesses: Gender in Royal Receiving and Giving, in: Studies in the Decorative Arts. The Bard Graduate Center for Studies in the Decorative Arts, Design and Culture XV. Jg. Heft 1, New York (?) 2008, S. 19-45, S. 27, Abb. 4

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