Sammlung

Runde Terrine (Terrinengefäß, Terrinendeckel, Einsatz, Einsatzdeckel und Untersetzplatte)

Künstler/in
Johann Jakob Hermann Grabe
Entstehung
Augsburg
Datierung
um 1799
Material
Silber, getrieben, gegossen, ziseliert, graviert, punziert, vergoldet (teilweise)
Maße
H. 24,5 (93/109.1 gesamt mit Deckel) 14,5 (Terrinengefäß mit Henkeln), B. 26,7 (93/109.1 mit Henkeln), Dm. 19,2 (93/109.1 ohne Henkel); H. 11 (93/109.2), Dm. 18,9 (93/109.2); H. 9,5 (93/109.3), B. 21,5 (93/109.3 mit Henkeln), Dm. 18,6 (93/109.3); H. 3,5 (93/109.4 mit Griff), Dm. 18,2 (93/109.4); H. 7 (93/109.5), Dm. 31,8 (93/109.5 mit Füßen), G. 6891 (zusammen mit 93/110)
Standort
Fürstliche Schatzkammer Thurn und Taxis
Inventarnummer
93/109.1-6
Bezug
Inv.-Nr. 93/107 - 93/118
Zugang
Öffentlich-rechtlicher Übertragungsvertrag 1993, Fürst Thurn und Taxis Kunstsammlungen, Regensburg

Im Gegensatz zu den übrigen im Thurn und Taxis-Museum ausgestellten Silberensembles wurde das um 1799 in Augsburg gefertigte Tafelservice nicht eigens für die Regensburger Silberkammer geschaffen, sondern etwa erst ein Jahrzehnt nach seiner Entstehung für das Haus Thurn und Taxis erworben. Der Auftraggeber und erste Besitzer der Silbergegenstände war der schwedische Adelige Knut Reinhold Bildt (1751-um 1818), der seit 1795 als Gesandter Schwedens am Immerwährenden Reichstag in Regensburg residierte (das Königreich Schweden war dort aufgrund seiner Besitzungen in Vorpommern vertreten). Noch 1799 hielt sich Bildt nachweislich in Regensburg auf, da in diesem Jahr dort ein Sohn geboren wurde. Gewiß im Zusammenhang mit der Auflösung des Immerwährenden Reichstages 1806 verließ Bildt die Stadt an der Donau. Wohl in diesem Augenblick trennte er sich von seinem silbernen Tafelservice, das in die Hände des Thurn und Taxis'schen Hoffaktors Reichenberger gelangte. Der Händler, der den Fürsten Carl Anselm und Karl Alexander verschiedentlich Pretiosen und Luxuswaren ambot, konnte im Frühjahr 1809 das Service des vormaligen Reichstagsgesandten an den Regensburger Hof veräußern. Aufgrund einer Entschließung Fürst Karl Alexanders vom 4. April 1809 wurde "der aquirirte von Bildtsche Tafel-Service in das Fidei-Commiss-Silber-Inventar" aufgenommen. Zum Ausgleich gab die Silberkammer in den folgenden Monaten verschiedene Edelmetallobjekte - darunter auch ein goldenes Mundzeug - an Reichenberger ab, so daß es sich in der Sprache der Quellen eher um einen "Austausch" als um einen "Ankauf" handelte. Da der Thurn und Taxis'schen Hofhaltung im Jahr 1809 nur geringe Mittel zur Verfügung standen, konnte auf diese Weise der Bestand der Silberkammer zumindest partiell modernisiert werden. Grundlage der Transaktion war das am 31. Mai 1788 in Schloß Trugenhofen aufgesetzte Testament des 1805 verstorbenen Fürsten Carl Anselm, das Verkäufe aus dem fideikommissarisch gebundenen Silbervermögen zum Zwecke wichtiger Neuanschaffungen grundsätzlich nicht ausschloß.
Dem Regensburger Hof war an der Erwerbung des Bildt'schen Services außerordentlich gelegen. Demgemäß nahm der Stecher Sigerist sogleich die Gravierungen der Gewichtsangaben sowie des Monogramms T vor. Auch fertigte der Regensburger Goldschmied Simon Jakob (?) Albrecht zwei neue Salzfässer. Ferner wurden dem Service verschiedene Silberteile ähnlicher Form zugeschlagen, die aus dem Nachlaß des 1805 in Stuttgart verstorbenen Prinzen Friedrich von Thurn und Taxis - eines jüngeren Bruders Fürst Karl Alexanders - stammten. Entsprechend den Abänderungen mußten auch die zum Service gehörigen Koffer modifiziert werden. Insgesamt ergaben sich Unkosten in Höhe von 564 Gulden 1 Kreuzer.
Die Erwähnung der Koffer in den Ankaufsakten läßt darauf schließen, daß das im Umfang beschränkte und mit Deckelgefäßen relativ geringer Größe versehene Silberservice leicht auf Reisen mitgeführt werden konnte. Darum liegt der Gedanke nahe, daß das neuerworbene Ensemble für Fürstin Therese bestimmt war, die sich 1809 unter anderem nach Paris begab, um dort am Hof Napoleons Verhandlungen über die Wiedererlangung der staatsrechtlichen Souveränität zu führen. So mag es sich auch erklären, daß das Service unverzüglich mit dem eindeutig auf Fürstin Therese zu beziehenden Monogramm T versehen wurde: Allein für den Gebrauch am Regensburger Hof wäre ein ausschließlich für die Gemahlin des regierenden Fürsten bestimmtes Tafelservice wenig sinnvoll; in Paris aber hatte die vermögende Fürstin, Schwester der Königin Louise und Schwägerin König Friedrich Wilhelms III. von Preußen, standesgemäß zu repräsentieren. Das vornehmlich durch die Tafel- und Dessertbestecke aus dem Besitz des Prinzen Friedrich von Thurn und Taxis ergänzte Silberservice bot Fürstin Therese die Möglichkeit, Diners für eine kleinere Gästezahl mit eigenem Tafelgerät in modernem Stil zu geben. Da zu dem Bestand nachweislich keine Silberteller gehörten, wurden gewiß Teller aus Porzellan verwendet. Ob hier möglicherweise ein Zusammenhang mit den in Thurn und Taxis-Besitz befindlichen Tellern der Berliner Porzellanmanufaktur vorliegt, die das Monogramm T unter dem Fürstenhut tragen, bedarf der näheren Prüfung.
Wie aus dem 1828 angelegten Inventar der Regensburger Silberkammer hervorgeht, ist das Bildt'sche Service weitgehend noch im Umfang des Jahres 1809 erhalten (es fehlen nur vier Ragoutvorlegelöffel und sechs Salzfässer): Das Ensemble besteht aus vier mit silbernen Einsätzen versehenen Deckelgefäßen, in den Formen der runden "Pots d'oille" (siehe Kat.-Nr. 4) und der ovalen Terrinen, ferner aus zwei Kasserollen sowie verschiedenen Platten und Schüsseln. Nach dem Inventar des Jahres 1828 handelt es sich bei den ovalen Platten um "Relevés Schüßeln", die für die sogenannten "Relevés" dienten: appetitanregende pikante Speisen, die den eigentlichen Vorgerichten folgten. Die im selben Inventar als "Entrées Schüßeln" bezeichneten Platten und Schüsseln in runder sowie vier- und dreieckiger Form nahmen die sogenannten "Entrées" auf: warme oder kalte Mittelgerichte etwa aus Fleisch oder Fisch. So stehen die Platten und Schüsseln des Ensembles in der Tradition der umfassenden Tafelservice, die seit dem zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts, entsprechend dem "Service à la française" (Kat.-Nr. 18), derartig differenzierte Schüssel- und Plattenformen aufweisen. Stilistisch folgt die ondulierende Form des durch den Lorbeerstab akzentuierten Randes einem bevorzugten Modell der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Die Deckelgefäße des Bildt'schen Services entsprechen einem in Augsburg etwa ab 1780 vertretenen Typus, wie er - in wesentlich reicherer Ausführung - besonders für die von Zarin Katharina II. der Großen bestellten Gouvernementsservice gewählt wurde: Auf der großen Untersetzplatte, die zur mittleren Standfläche hin leicht gekehlt ansteigt, erhebt sich das bauchige Gefäß über vier geschwungenen Füßen, die im Prinzip auf den Aufbau der Rokoko-Terrinen zurückgehen (Kat.-Nr. 28). Der kräftig gewölbte Deckel, der allein im oberen Abschnitt mit radial angeordneten Blättern belegt ist, wird von einem urnenartigen Knauf bekrönt. Der Dekor von Untersetzplatten und Gefäßkorpus beschränkt sich auf eine geometrisierende Felderung mit mittleren Rosetten. Die zierlichen Griffe sind auf spangenartige Elemente reduziert. So besitzen die Deckelgefäße insgesamt eine vergleichsweise einfache Gestalt.
Spezielle Aufmerksamkeit beanspruchen die beiden flachen Kasserollen. Gegen Mitte des 18. Jahrhunderts ging man vor allem am Hofe König Ludwigs XV. dazu über, bei minder offiziellen Anlässen die Strenge des Zeremoniells zu mildern und die Tafelgeräte stärker unter dem Gesichtspunkt der Bequemlichkeit des Gebrauchs sowie der Warmhaltung der Speisen zu gestalten. So kam der Typus der mit Deckel und Stielgriff versehenen Kasserolle auf, in der einzelne Gerichte von der Küche in den Speisesaal gebracht und dort unmittelbar auf die Tafel gesetzt werden konnten, eventuell auch in Verbindung mit einem Rechaud, der ein längeres Warmhalten der Speisen ermöglichte. Freilich sind keine Rechauds für die beiden zum Service des Jahres 1799 gehörigen Kasserollen überliefert, die in der Deckelform annähernd mit den beschriebenen "Pots d'oille" und Terrinen übereinstimmen, ansonsten aber den Charakter als Gebrauchsgeräte nicht leugnen. Auch unter dem Gesichtspunkt von Konstanz und Wandel der Funktionen stellt das Bildt'sche Service einen bemerkenswerten Schlußpunkt in der Folge der im Regensburger Museum präsentierten Augsburger Tafelservice des 18. Jahrhunderts dar.

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Zu den Marken: Helmut Seling, Die Kunst der Augsburger Goldschmiede 1529-1868. Meister, Marken, Werke, München 1980, Bd. 3, Nr. 283, 2581i

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Zum Objekt: Helmut Seling, Die Kunst der Augsburger Goldschmiede 1529-1868. Meister, Marken, Werke, München 1980, Bd. 1, S. 317; Bd. 2 Abb. 778; Bd. 3, Nr. 2581g

BV012190176
Zum Objekt: Mus-Kat. Thurn und Taxis Museum Regensburg. Höfische Kunst und Kultur, Reinhold Baumstark (Hrsg.), München 1998, S. 112-115, Kat.-Nr. 35a

Sammlung

Sammlung Thurn und Taxis

Systematik

Gefäß - Schale - Terrine | Untersetzplatte

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