Sammlung

Schlüssel

Künstler/in
Entstehung
München
Datierung
1993 (ca.)
Material
Stahl
Maße
Standort
Fürstliche Schatzkammer Thurn und Taxis
Inventarnummer
93/559.2
Bezug
Zugang
Öffentlich-rechtlicher Übertragungsvertrag 1993, Fürst Thurn und Taxis Kunstsammlungen, Regensburg

Die schon ihren Dimensionen nach bedeutende Figurenuhr besitzt mehrere Werke mit spezifischen Funktionen, die auf unterschiedliche Weise im Äußeren hervortreten. Nur von der Rückseite des Sockels her läßt sich das Spielwerk einsehen, das dort mit einer kunstvoll gestalteten Abdeckung in Form einer ornamental durchbrochenen und mit qualitätvollen Gravierungen gezierten Messingplatte versehen ist. Das ausschließlich in Metall gearbeitete Spielwerk besteht aus 15 nebeneinander in der Horizontale angeordneten Glocken, die jeweils von einem eigenen Hämmerchen angeschlagen werden. Die Schlagbewegung der Hämmerchen wird von feinen Stiften unterschiedlicher Länge ausgelöst, die in eine waagerecht gelagerte Messingwalze eingelassen sind. Tonhöhe und Tonfolge werden somit durch die Anordnung der Stifte auf der Walze festgelegt, deren Antrieb eine Stahlfeder bewirkt. In wohlkomponierter Abfolge - von der "Introduzzione" über verschiedene Menuette, ein "Fugato", ein "Andante", ein "Allegro", eine "Polonoise" und ein "Balletto" bis hin zum abschließenden "Scherzo" - läßt das Glockenspiel nacheinander insgesamt zwölf verschiedene Melodien erklingen: Stündlich wird ein Stück gespielt, alle zwölf Stücke sind somit im Laufe eines Tages zu hören; durch manuelle Auslösung können die zwölf Kompositionen bei einer Spieldauer von etwa 15 Minuten auch unmittelbar hintereinander zu Gehör gebracht werden.
Die außen am Postament der Uhr befindlichen Emailscheiben, die Beschriftungen in französischer beziehungsweise italienischer Sprache tragen, nehmen auf das Spielwerk Bezug: Die rechte Scheibe zeigt an, welche der zwölf hier namentlich genannten Melodien jeweils gespielt wird; die linke Scheibe indiziert das An- und Abschalten der Spielfunktion; am vorderen Minutenzifferblatt, das mit einem eigenen Geh- und Schlagwerk in Verbindung steht, läßt sich ablesen, wann jeweils die volle Stunde erreicht ist, zu der das Spielwerk erklingt. Den drei Scheiben sind in Silber getriebene Relieffiguren der vier Erdteile zugeordnet: Europa und Afrika auf der Frontseite, links Amerika und rechts Asia. Überdies weist das sich nach oben hin einziehende Postament weitere getriebene Silberbeschläge in Form ausgesprochen dünnliniger Rocaillen in Verbindung mit einzelnen Blütenzweigen und Weinranken auf, welche die Oberfläche geradezu netzartig überziehen.
Auf dem das Spielwerk aufnehmenden Sockel kniet die ungewöhnlich große Figur des sich weit nach rechts neigenden Chronos, auf dessen ausgestrecktem rechtem Arm der mächtige Zifferring der Uhr mit der zweimal 12-Stunden-Angabe ruht; die Flächen zwischen den 24 Emailkartuschen sind mit Farbsteinen und Bergkristallen besetzt. Mit der Linken faßt der Zeitgott den senkrecht stehenden Stiel der Sense, an dessen oberem Ende - exakt in der Mitte des großen Zifferringes - scheinbar schwebend eine große runde Kapsel mit dem Hauptgehwerk der Uhr fixiert ist (hier besteht keine mechanische Verbindung mit dem allein zur Auslösung des Spielwerks bestimmten Gehwerk im Postament). Das rückwärtig mit gravierten Blütenranken gezierte Gehäuse trägt auf der Front vier kleinere emaillierte Zifferblätter mit der Angabe der jeweiligen Ortszeit in den vier Erdteilen Europa (Rom), Asien (Peking), Amerika (Mexiko) und Afrika (Kairo). In Ausschnitten werden die Mondphase, der Monatstag, der Monat mit Tierkreiszeichen und der Wochentag mit Planetenzeichen indiziert. Eine vor dem runden Gehäuse an einem Stab befestigte dosenförmige Kapsel (mit Angabe der vier Himmelsrichtungen auf der emaillierten Vorderseite) zeigt auf dem großen Zifferring die Stunden an; die gegenüberliegende Kapsel in analoger Form trägt die Windrose mit der Einteilung von viermal 90 Grad. Wie vor allem an den in Messing gravierten und auf den Emailscheiben in Malerei ausgeführten Ornamenten abzulesen ist, entstammen das Spielwerk einschließlich des Geh- und Schlagwerks des Sockels wie auch das Gehwerk des oberen Zifferringes wohl den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts. Der offensichtlich nicht in Paris ansässige Uhrmacher Etienne Pomée, der das untere Minutenzifferblatt signierte, läßt sich bislang nicht mit weiteren Werken nachweisen; möglicherweise handelt es sich um einen im Ausland - etwa in Brüssel oder Frankfurt - tätigen Franzosen, vielleicht um einen Hugenotten, wie es gerade im Falle Frankfurts naheliegt. Auch die in Kupfer getriebene und feuervergoldete Figur des Chronos, die durch kräftige Plastizität ausgezeichnet ist, sowie der in Kupfer geschmiedete und gleichfalls mit einer kräftigen Feuervergoldung versehene Sockel gehen auf jene Jahre zurück, desgleichen die vier silbernen Erdteilfiguren des Postaments.
Etwa um 1760 erfuhr die Uhr eine partielle Umgestaltung. So wurde der Sockel durch vergoldete Stützen und kartuschenförmige Beschläge sowie durch Silberbeschläge in Rocailleform bereichert. Desgleichen erneuerte man den großen Zifferring und versah die Vorderseite des runden Gehäuses zusätzlich mit plastischen Rocaillen, um die stattliche Pendule zumindest im Dekor dem gewandelten Stilempfinden anzupassen. Dabei erfuhr das Programm der Uhr, welches das Thema des in allen vier Weltteilen über die Zeit herrschenden Chronos vor Augen führt, keine Abänderung. So besitzt die Pendule in ihrem Kernbestand herausragende Bedeutung als äußerst seltenes Zeugnis einer großen Figurenuhr aus der Epoche des Spätbarock. Zugleich handelt es sich um eines der ersten Beispiele des besonders in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verbreiteten Typus der "Mystérieuse", bei der der Antrieb der Zeigerbewegung innerhalb des von Chronos getragenen Zifferringes nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist. Nicht zuletzt kann auch das original erhaltene Spielwerk, das erst im Zuge der 1998 vorgenommenen Restaurierung wieder zum Erklingen gebracht wurde, als ein ausgesprochen frühes Zeugnis der Kultur der automatophonen Musik gelten (eine musikhistorische Einordnung der zwölf Kompositionen steht noch aus).
Die in den Inventaren des Frankfurter Thurn und Taxis-Palais nicht eindeutig zu identifizierende Uhr fand nach dem Bezug des "Äußeren Palais" in Regensburg 1792 im dortigen Audienzzimmer - dem vornehmsten aller Räume - Aufstellung, wie ein 1807 angelegtes Inventar erweist. Gewiß im Jahr 1792 wurde die Pendule mit dem vitrinenartigen Gehäuse versehen, das dem Zeitmesser geradezu monumentalen Charakter verleiht. Stilistisch gemahnt die äußerst fein geschnitzte Einfassung an die 1792 ursprünglich für das "Äußere Palais" geschaffenen Vertäfelungen des Spiegelsalons, die sich jetzt im Ostflügel von St. Emmeram befinden.

BV004528689
Zum Objekt: Max Piendl, Schloß Thurn und Taxis Regensburg 4. Auflage, München/Berlin 1991, S. 32-33

BV011726896
Zum Objekt: Ausst.-Kat. Bayerisches Nationalmuseum, München, 03. Dezember 1997 - 07. Juni 1998: Von Glück, Gunst und Gönnern. Erwerbungen und Schenkungen 1992-1997, Reinhold Baumstark (Hrsg.), München 1997, S. 118, Abb. S. 119

BV002539476
Zum Objekt: Erwerbungsbericht Bayerisches Nationalmuseum 1993, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, 3. Folge, Bd. 44, München 1993, S. 250, Abb. 1

BV012190176
Zum Objekt: Mus-Kat. Thurn und Taxis Museum Regensburg. Höfische Kunst und Kultur, Reinhold Baumstark (Hrsg.), München 1998, S. 50-52, Abb. S. 51, S. 52 (Ausschnitt), Kat.-Nr. 1

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